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zur Eröffnung der Ausstellung "Kuß und Stock" Galerie Forum Amalienpark, Berlin, vom 02. Februar bis 02. März 2013
 
Sehr geehrte Damen und Herren, auch ich möchte Sie herzlich zur Eröffnung der neuen Ausstellung in der Galerie Forum Amalienpark begrüßen, die Malerei, Druckgrafik und Zeichnungen der Künstler Max Stock und Jörg Kuss präsentiert und damit zwei gänzlich unterschiedliche Bildwelten...
 
Zum einen zeigt die Galerie von Max Stock eine große Auswahl von Kunstwerken, die in den letzten 25 Jahren entstanden sind...
 
Auf der anderen Seite sehen wir große Bilder mit landschaftlich abstrakten Motiven von Jörg Kuss, die er in den letzten zwei Jahren gemalt hat. Seine Stärke ist das Spannungsverhältnis von Farbe und Struktur. Er schichtet sie zu komplexen und zugleich visuell schlüssigen Kompositionen und macht das Malerische selbst zum Gegenstand der Betrachtung. Auf den ersten Blick sind die großformatigen Gemälde gestische Abstraktionen. Aber bei längerem Hinsehen entdecken wir in den Bildern räumliche Perspektive und Gegenständliches. Manche Gemälde wirken wie Collagen dadurch, dass auf die durchgemalten Partien zeichnerische Strukturen aufgesetzt sind. Das Landschaftliche ist aber nicht vordergründig, vielmehr hat Jörg Kuss in ungleichen Farbschichten ein Dickicht von Strukturen geschaffen, das bei den Betrachtern verschiedene Assoziationen auslöst oder Erinnerungen weckt. Eine Vielzahl von Grün- und Ockertönen verwandeln die Galerie zum Teil in ein autonomes Naturgelände, zu farbintensiven Landschafträumen mit immer neuen Ausblicken...
 
Jörg Kuss wuchs im Dorf Reuden in der Nähe von Lutherstadt Wittenberg auf und lernte Elektriker. 1982 kam er nach Berlin, nahm Zeichenunterricht bei Margot Sperling und studierte an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin-Schöneweide. Da war der Grafiker Erhart Bauch noch Direktor. Bauch hatte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studiert und von 1963 bis 1973 an der Kunsthochschule Weißensee gelehrt. Bis 1983 leitete er mit einem für DDR-Verhältnisse sehr liberalen Stil die Fachschule in Schöneweide, die in dieser Zeit eine der wenigen Möglichkeit für Künstler war, sich ohne Abitur künstlerisch weiterzubilden und anschließend an einer Kunsthochschule studieren zu können. Bekannte ehemalige Studenten der FWG sind u.a. Gundula Schulze Eldowy, Christa und Peter Panzner, Franz-Peter Biniarz, Meinhard Bärmich, Ute Mohns, Holm Heinke, Karsten Gläser, Michael Wirkner, Olaf Thiede, Bodo Korsik, Sabine Kahle-Wendrock, Dietrich Schade alias Lusici und Holger John. An der FWG lernten die Studenten das Handwerk der Gebrauchsgrafik, Fotografie, Buch- und Schriftgestaltung, und sie erhielten Einblicke in die klassischen Techniken der Kunst. Das war weniger eine Auseinandersetzung mit alten Meistern, sondern vielmehr die Untersuchung verschiedener künstlerische Herangehensweisen und Materialien, die Vermittlung einer hohe Malkultur, die sich auf das sinnlich Erlebte bezog und die Suche nach einem eigenen Weg. Anfang der achtziger Jahre lehrte im Grundlagenstudium der Abteilung Gestaltung u.a. der Künstler Wulff Sailer. Er war für Jörg Kuss der wichtigste Lehrer in dieser Zeit und später auch Mentor. Er schrieb auch an Prof. Gerhard Kettner die Empfehlung zur Aufnahme an die Hochschule für Bildende Künste in Dresden. 1986 begann Jörg Kuss bei Kettner und Prof. Werner Liebmann mit dem Kunststudium. Die Weisheit und Erfahrung des Pädagogen Kettners eröffneten ihm Wege zur Vertiefung in künstlerische Traditionen, die überbordende Fantasie des Lehrers Werner Liebmann ermutigte ihn zunächst zu einer realistischen als auch expressiven Bildsprache und die gradlinige wie auch politisch kompromisslose Haltung Horst Leifers bestärkten ihn später, sich auch abseits von Verführungen des Marktes zu bewegen. Liebmann ermöglichte dem jungen Absolventen einen schnellen Einstieg in die Galerie Berlin, die Künstler der Leipziger- und Berliner Schule vertritt. Das schien zunächst für Jörg Kuss das Richtige. Doch nach ein paar Jahren wollte sich der Künstler weder der expressiv-figürlichen Malerei noch der neo-realistischen Kunst zuordnen lassen. Als Jörg Kuss die Stadt Berlin verließ, war es aber keine Flucht, sondern er folgte einer unendlichen Sehnsucht nach Ferne. Von 1995 bis 1997 lebte er in Italien-Tuscania und mietete ein Atelier auf Montebello an. Er reiste nach Marokko, Kambodscha, Peru und Bolivien - wohnte zwischendurch ein paar Jahre in Berlin und wieder in Dresden. Immer auf der Reise und immer auf der Suche nach einer eigenen künstlerischen Bildsprache. Das verbindet ihn mit dem Künstler Per Kirkeby, der, bevor er seinem Traum von der Malerei folgte, als Geologe zahlreiche Expeditionen nach Grönland unternahm und geduldig die Natur beobachtete. Die Jahre waren für den Künstler nicht verloren, sondern sie bilden bis heute das gestalterische, philosophische und ästhetische Fundament für seine Kunst. Als reisender Künstler verwirklicht Jörg Kuss das Ideal vom modernen diasporischen Menschen, für den das Unterwegssein ein intellektuell und emotional angemessener Zustand ist. Er hatte sich freiwillig abgegrenzt und irgendwann den Punkt erreicht, wo er der Natur in ihrer schieren Größe, Erhabenheit und Weisheit verfiel. Beides bleibt wertvoll für seine weitere künstlerische Entwicklung. Die neue Bilderwelt von Jörg Kuss ist scheinbar klassisch erfüllt mit Landschaft. Die Empfindungen in der Natur, oft in Minuten vorüber, hält Jörg Kuss in seinem Gedächtnis und in Skizzen fest, und ruft sie auch Monate später zum Malen ab. So bewahrt er in seinen, auch räumlich tiefen Bildern, die bezaubernden Licht und Farbenspiele vor der Vergänglichkeit. Doch sein Blick fixiert nicht den Bildgegenstand, sondern er lässt ihn hervor wachsen aus den Definitionen des Raumes und der Farben. Die ganze Bildfläche gerät so in Bewegung. Jörg Kuss ist Dramatiker der Landschaften. Die offenen, scheinbar unvollendeten Bildformen aktivieren auch den Betrachter zum Miterleben des Vortrags und Malvorgangs. Jörg Kuss ist aber auch Dichter der Farben, mit denen er unmittelbare Gefühle und Gedanken äußert. Der Künstler bewegt sich in Zwischenräumen: Er ist abstrakt und doch gegenständlich. Obwohl er mit der freien Linie wie zufällig eine expressive Form zu finden versucht und obwohl das Bild ganz von der Farbe und dem gestischen Auftrag bestimmt ist, können wir den Gegenstand nicht vergessen, als würden die Farben die Formen an sich reißen und die Bilder und Zeichen in unserem Gedächtnis abrufen. Dass wir aber diesen Vorgang des Malens, Wiedersehens und Erlebens denken können, ist wohl der eigentliche ungeheure Gewinn dieser neuen Bilder von Jörg Kuss.